EMB-Sondernewsletter, September 2011

MILK-NEWS – Sonder-Newsletter

Milchmarkt  Schweiz – zwei Jahre nach dem Ende der Quote

Seit dem Ausstieg aus  der Quote in der Schweiz am 1.5.2009 sind nun gut zwei Jahre vergangen. Die Situation  auf dem Milchmarkt ist nach wie vor dramatisch. Es wird viel zu viel Milch  angeliefert. Der Butterberg ist aktuell auf einer Rekordhöhe von über 10 000  Tonnen. Der Milchpreis ist permanent unter Druck und mit aktuell  durchschnittlich 60 Rappen weit davon entfernt kostendeckend zu sein.

Der Ausstieg begann aber bereits drei Jahre früher. In der so genannten Übergangsphase 2006/2009  konnten sich die Produzenten zu Milchverkaufsorganisationen zusammenschliessen.  Es entstanden 38 Organisationen, welche entweder als eigenständige  Produzentenorganisation (PO) oder zusammen mit einer Molkerei (PMO) versuchten,  das Angebot zu bündeln und ihre Milch gemeinsam zu verkaufen. Die fünf grössten PO bündeln zusammen rund 70% der Milchmenge.

Softlanding  in der EU – Mehrmengenregelung nennt man es in der Schweiz: lange vor dem Ende der Quote wurde diese außer Kraft gesetzt

Die Schweizer Organisationen hatten die Möglichkeit,  bereits vorzeitig aus der Quote auszusteigen. Das heisst, die Organisation gab  die Quote offiziell dem Staat zurück. Sie teilte dann dem Produzenten die genau  gleiche Menge als Lieferrecht zu, welches aber nur noch innerhalb der  Organisation gehandelt werden konnte. Für ausgestiegene Organisationen bestand  zudem
die Möglichkeit, die Milchmenge auszuweiten, wenn sie dem Bundesamt  nachweisen konnte, dass sie einen zusätzlichen Absatzkanal gefunden hatte. Die so genannten Mehrmengen wurden den Erzeugern zu einem deutlich tieferen Preis –  wegen der so genannten Markteintrittskostenbeteiligung – bezahlt. Mehr als die  Hälfte der Erzeuger und der Erzeugerorganisationen machten von der Möglichkeit  des vorzeitigen Ausstiegs und der Ausweitung der Menge Gebrauch und so wurde die Milchmenge in der Schweiz bereits vor dem 1.5. 2009 um 5%  erhöht.

Es gab auch einzelne  Produzentenorganisationen, die ein sehr straffes Mengenreglement beschlossen. Sie sahen sich jedoch bald mit der Tatsache konfrontiert und haben auch heute  noch das Problem, dass wachstumshungrige Mitglieder die Organisation verlassen  und ihre Milch für einen höheren Abnahmepreis direkt an einen Verarbeiter  liefern. Direktlieferanten konnten zudem die Milchmenge in ihren Verträgen frei  festlegen. Und so wurde von Anfang an Uneinigkeit unter den Erzeugern gesät:  Mehrmengenmelker und Wachstumshungrige gegen Verfechter einer  Mengenregulierung, die en gesamten Markt im Blick hat.

Vergebliche  Versuche der Branchenorganisation

Es wurden bisher zahlreiche Versuche unternommen, die Situation in den Griff zu bekommen. So wurden von der neu gegründeten Branchenorganisation Milch (BOM), in welcher Produzenten, Verarbeiter und der Handel vereint sind, immer wieder Entscheide  zum Umgang mit den Übermengen gefällt, welche bis heute jedoch nicht umgesetzt  wurden. (Siehe Pressemitteilungen unter www.ip-lait.ch ) Sowohl ein Musterkaufvertrag als auch eine Regelung zur Butterentsorgung  werden von einzelnen Produzentenorganisationen ignoriert. Der von der BOM  festgelegte Richtpreis für Milch ist unverbindlich. Und die beschlossene  Segmentierung der Milchgeldabrechnung wirkt sich für die Produzenten nur  negativ aus.

Die Milchkäufer segmentieren die Milch bei der Abrechnung in A-, B- und C-Milch. A-Milch ist  für den geschützten inländischen Teil des Marktes, B-Milch für den Export oder für die Importabwehr und C-Milch geht auf den Weltmarkt. Die Produzenten haben  keine Möglichkeit, auf die Lieferung von B- oder C-Milch zu verzichten. Es findet so keinerlei Steuerung der Gesamtmilch-Menge statt, denn im Zweifelsfall  können die Verarbeiter die überschüssige Milch immer noch als C-Milch auf dem  Weltmarkt verscherbeln. Die Bauern bekommen dann einfach weniger Geld für jene  Liter Milch, die als C-Milch vermarktet werden. Und das unabhängig davon, ob  sie sich an die fest gelegte Vertragsmengegehalten haben oder nicht. Entscheidend  ist allein die Form der Vermarktung und auf diese haben die Erzeuger keinen  Einfluss.

Halbherziger  Versuch der Politik

Bereits im letzten Jahr reichte Nationalrat Andreas Aebi im Parlament eine Motion ein, welche  verlangte, dass auf die so
genannten Mehrmengen, welche über das ursprüngliche  Lieferrecht (Quote) hinaus gemolken werden, eine Abgabe erhoben wird, welche  die Kosten für das Entsorgen dieser überschüssigen Milch zu 100 % deckt. Diese  Abgabe sollte bis zu 30 Rappen pro Kilo betragen. Diese Motion wurde mit grosser Mehrheit im Nationalrat angenommen. Auch im Ständerat war eine knappe  Mehrheit zu erwarten. Doch ein Ordnungsantrag torpedierte die Abstimmung und  man stellte den Entscheid auf unbestimmte Zeit zurück. Die Branchenorganisation  Milch (BOM) sollte eine allerletzte Chance bekommen, die Situation eigenständig  in
den Griff zu bekommen.

Leider hat die BOM diese Chance nicht genützt. Zwar wurde am 18. März entschieden, für den Abbau  des Butterlagers auf jedes Kilo Milch eine Abgabe von einem Rappen und bei den so genannten Mehrmengen von vier Rappen zu erheben. Damit hätten die alten  Lieferrechte wieder eine Bedeutung gehabt. Doch nur kurze Zeit später setzten sich einzelne, wachstumsorientierte Organisationen vehement gegen diesen Beschluss  zur Wehr und torpedierten ihn auf juristischem Wege. So entschied man in der Branchenorganisation bis August erst einmal nichts zu unternehmen.

Was  sind die Ursachen für das Scheitern der Milcherzeuger?

Die Produzenten haben  es verpasst, rechtzeitig gemeinsam eine vernünftige Nachfolgeregelung für die  Quotefestzulegen. In einer Basisbefragung haben sich 2008 über 80% der  Milchbauern für eine privatrechtliche Mengenregulierung, unter Führung des  Dachverbandes der Milchproduzenten, als Ersatz für die Quote, ausgesprochen.  Über 85% der Verbraucher haben zudem kein Verständnis dafür, dass die Bauern  mehr melken, als sie am Markt verkaufen können.

Doch nach zwei Jahren  freien Milchmarktes gibt es nicht die Spur einer Mengenregulierung, welche das  Angebot an die Nachfrage anpassen kann. Die Produzenten sind untereinander  völlig zerstritten. Die einen machen die Mehrmengenmelker für das Debakel  verantwortlich. Und diese wiederum kämpfen dafür, dass sie weiterhin ihre  neugebauten Kapazitäten voll auslasten können. Der Dachverband der Schweizer  Milchproduzenten SMP ist handlungsunfähig geworden. Er versucht mit  Kompromissen in alle Richtungen zu verhindern, dass einzelne Produzenten aus dem Verband austreten. Gewicht hat der SMP keines mehr. Aufgrund der beschriebenen  Fakten erscheint eine gemeinsame Strategie fastunmöglich.

Mengen  und Preise aus dem Ruder

Die zu hohe Produktion ist auch der Grund, warum der  Milchpreis in der Schweiz in den vergangenen 20 Monaten nicht so ansteigen konnte, wie in den umliegenden Ländern. Die gesamte  Milchmenge ist zwar jetzt in festen Lieferverträgen gebunden. Die Molkereien haben aber viel zu hohe Mengen unterschrieben. Hinzu kommt, dass die  Milchbauern im vergangenen Jahr 3 % weniger Milch geliefert haben, als in den Verträgen vereinbart worden ist und dieses Jahr dann wieder zugelegt  haben, um die niedrigen Preise teilweise auszugleichen. Zwar ist der offiziell  von der BOM festgelegte Richtpreis für A-Milch im März nochmals um 3 Rappen auf  65 Rappen gestiegen. Bei den Bauern kommt aber dieser Betrag nicht so an, weil  10, 20 oder sogar 30 % der Milchmenge zu einem viel tieferen B-Preis oder  C-Preis abgerechnet werden. (Zur Information: Durchschnittliche  Produktionskosten in der Schweiz: 107 Rappen pro Liter/ 1 Euro gleich 122  Rappen)

Der Butterberg hat Ende Juni (Woche 25) einen absoluten Höchststand erreicht. Normalerweise sinken  die Lager ab Woche 21, weil dann rund 80 000 Kühe auf die Alp gehen. Doch dieses Jahr bleibt er unverändert hoch und wächst noch weiter. Und die
BOM will  vor August nichts unternehmen, was die Milchmenge verändern könnte. Das Desaster nimmt seinen Lauf (und der Chef des Bundesamtes für Landwirtschaft hat  auf Ende Juni seinen Hut genommen….).

Mit dem Fall des Eurokurses gegenüber dem des  Schweizer Franken, könnte die Situation der Käseexporte kritisch werden.  Kaufverträge für den Exportkäse könnten neu verhandelt werden mit niedrigeren  Preisen, was einen zusätzlichen Druck auf den
Preis der Käsereimilch, vermehrte  Lagerung sowie ein Überangebot an Käsereimilch provozieren würde. Wenn diese  Milch dann in den Kanal der industriellen Milchverarbeitung gelangt, könnte der  Überschuss an Käsereimilch zu zusätzlichem Druck auf den ohnehin niedrigen  Industriemilchpreis führen. Es zeichnet sich zudem ab, dass zum ersten Mal seit  150 Jahren mehr Käse in die Schweiz importiert als exportiert werden wird.  Schuld an dieser Situation ist auch das am 1. Juni 2007 in Kraft getretene  Käsefreihandelsabkommen zwischen der Schweiz und der EU.

Aussichten

Die Schweizer EMB-Organisationen kämpfen sowohl in  der Öffentlichkeit als auch hinter den Kulissen dafür, dass die Politik den  Milchproduzenten eine Angebotssteuerung ermöglicht. Es ist abzusehen, dass die  Milchpreise in Europa wieder absacken, sobald sich die Futtersituation rund um  den Globus stabilisiert hat. Weil die Menge in der Schweiz nicht gedrosselt  werden kann, werden wir auch alle unweigerlich in diesen Strudel hineingezogen. Überschüsse mit Beiträgen der Bauern oder sogar mit  Staatsgeldern zu exportieren, ist keine Lösung. Schlimmer noch: Solche Dumpingexporte ruinieren die Existenzen unserer Berufskollegen im Ausland. Und  nebenbei ist es eine unnötige und unsinnige Verschwendung kostbarer Ressourcen.

Diese Situation zeigt wieder einmal die Verletzlichkeit  einer Milchpolitik, die im wesentlichen auf Export und freiem Markt beruht.  Deshalb brauchen wir eine kohärente Agrarpolitik basierend auf dem Prinzip der Ernährungssouveränität. Eine Volksinitiative, die dies fordert, ist in  Vorbereitung.

Man bekommt heute den Eindruck, dass es im Milchmarkt  nicht mehr um eine sichere Versorgung der Bevölkerung mit wertvollen Milchprodukten geht, sondern nur noch um Marktanteile, Macht und Marge. BIG-M und Uniterre setzen sich für eine  effektive Angebotssteuerung in Erzeugerhand ein, die Überschüsse von vornherein  so weit wie möglich vermeidet. So dass kostendeckende Preise für die Bauern und  die Erzeugung hochwertiger Milch in der ganzen Schweiz weiterhin möglich und  zukunftsträchtig sind.

Der Bauernaufstand, die Milchstreiks und die  Forderung 1 CHF / Liter für die gesamte Schweizer Milchproduktion waren  Schlüsselfaktoren, um die Bauernfamilien in der Diskussion um den Milchmarkt  neu zu positionieren. Noch nie waren
Milcherzeuger so stark wie in diesen  Zeiten der Aktion. Sie haben die Bevölkerung mit ihren Forderungen erreicht,  man hat ihnen zugehört und sie unterstützt. Mehrere Projekte für die  Vermarktung einer fairen Milch wurden seitdem umgesetzt.

Neben diesen Vermarktungsprojekten und den „Straßen“-Aktionen, haben die Produzenten  Vorschläge zur Marktstabilisierung
eingebracht. Ein erstes Modell zur  Regulierung wurde sowohl den Milcherzeugern und ihren Organisationen als auch  den Politikern vorgelegt. Es wird derzeit von vielen Seiten intensiv  diskutiert, da es eine glaubwürdige Alternative zu der aktuellen chaotischen  Situation darstellt. Es ist eine solidarische Methode, um schnell Milch aus dem  Markt abzuziehen und den Preis zu erhöhen, und damit eine flexible  Mengensteuerung in Erzeugerhand, wie EMB sievorschlägt.

In der Schweiz wurden die Milcherzeuger von  Politikern und Bürgern angehört, als sie mit Aktionen auf der Straße waren und  klare Forderungen formulierten, die auch auf europäischer Ebene aufgenommen  werden.

  • Ein fairer Preis von 1 Frs/Liter für sämtliche  in der Schweiz produzierte Milch,
  • Eine Steuerung der Produktionsmengen in  Erzeugerhand
  • Eine vom Staat gesetzte  Allgemeinverbindlichkeit, damit die Bürger Einblick haben, die Steuerung
    effektiv eingesetzt wird und den Anforderungen einer Agrarpolitik basierend auf  Ernährungssouveränität
    entspricht.

Koordinierte und europäische Aktionen müssen aufs Neue so organisiert werden,  dass Entscheidungsträger und Öffentlichkeit
wieder aufmerksam für die konkreten  Vorschläge
der Produzenten werden.

Im Jahr 2015 könnte die Lage der Erzeuger in Europa ähnlich sein – oder noch  schlimmer – wie die der Schweizer heute. Die europäischen Probleme werden  ein anderes Ausmaß haben, aber im Grunde denen, die die Schweizer Erzeuger  aktuell erleben, sehr ähnlich sein. Die europäischen Entscheidungsträger  beobachten übrigens sehr genau die Entwicklung der Situation in der Schweiz.

Es ist also wichtig „das Problem“ Schweiz zu lösen, um die europäische Milchpolitik in  Richtung der Anforderungen des EMB weiter zu entwickeln. Deshalb fordern die  Organisationen BIG-M und Uniterre das EMB auf, sich noch intensiver mit dem  Fall
der Schweiz befasst und eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, die  echten europäischen Druck auf die Schweizer
Entscheidungsträger und Politiker  ausüben kann.

Werner Locher, BIG-M
Nicolas Bezençon, Uniterre

Anmerkung des EMB-Büro:

In den kommenden Monaten werden Sie immer aktuelle  Berichte und Artikel zu den Entwicklungen in der Schweiz auf der Startseite von Arraywww.europeanmilkboard.org finden.

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