Beitrag aus der aktuellen IG-MilchPost: „Regionalentwicklung als Konfliktlösung“

Der ungelöste Kernkonflikt
Im reichen deutschen Bundesland Baden-Württemberg sind die Bauern so überschuldet, dass ein Drittel der landwirtschaftlichen Betriebe bereits quasi den Banken gehört. Dies berichtet der Ökonom Christian Hiß aus Freiburg im Breisgau. Dabei sind das meistens gewachsene, große Betriebe. Die Politik ist ratlos. Ein solcher Zustand verschwendet viel Potenzial und sichert nicht mehr die Ernährung. Das muss erst in unseren Köpfen bewusst werden. Es macht sichtbar, dass dieses Wachstumssystem in sich selbst zerstörend ist. Wir sollten in Österreich die Bremse ziehen, denn auch bei uns dominiert inzwischen dieser Mechanismus der Intensivierung mit Wachstum der Betriebe und der Produktion ohne Grenzen (keine Quote), mit Überschüssen die den Erzeugerpreis des Bauern niedrig halten. Bauern geraten dabei in Überschuldung oder sie scheiden aus. Genau dieser gewaltvolle Mechanismus hat auch Österreich erfasst und dies trotz sehr guter Programme im Ministerium für Nachhaltigkeit wie das ÖPUL-Umweltprogramm, die Berg- und Biobauernförderung, die Programme für Ländliche Entwicklung. Warum machen die Bauern, selbst Biobauern, bei diesem destruktiven Mechanismus mit? Als Konfliktforscher sehe ich, dass dieses Mitmachen eine „Flucht nach vorne“ ist. Bauern sind getrieben von Zukunftsängsten, die aus dem Verlust der Wertschöpfung stammen. Die Wurzel der Angst liegt also im Verlust der früheren Selbstverarbeitung ihrer Produkte auf den Höfen oder in den regionalen Verarbeitungs- Gemeinschaften, die wertschöpfend, überschaubar und sicher waren. Der Ausweg und eine Auflösung des Konfliktes kann nur – soweit es geht – ein Zurückholen verlorener Wertschöpfung in die überschaubaren Regionen mit Beteiligung vieler Betroffener in neuen Regionalentwicklungs- Gemeinschaften sein. Als Lieferanten an eine Großmolkerei, einen Schlachthof, sind die Bauern einseitig abhängig geworden, sie haben als Rohproduzenten den Einfluss sowohl auf die Menge (Verlust der Quote) als auch den Preis verloren und das ist ein Teil dieser Angst. Wenn man zum Beispiel prüft, was in unseren landwirtschaftlichen Schulen und Mittelschulen sowie bei der Beratung in den Kammern gelehrt wird, dann sieht man leider, es geht mehrheitlich – mit Ausnahmen – in Richtung Intensivierung. Und das setzt sich fort bis in die Forschung und die Universität. Und beim Bio-Landbau spricht man von einem Rückbau zum Konventionellen. Wir brauchen dringend eine Wende in Bildung und Beratung und vor allem ein Programm für eine konfliktlösende, wertschöpfende Regionalentwicklung. Wie wirkt eine konfliktlösende, wertschöpfende Regionalentwicklung Hier ein Vergleich von den zwei Systemen: konfliktschaffende Intensivierung oder konfliktlösende Regionalentwicklung:

  • Das System der Intensivierung mit Überschussproduktion und ihre Schäden.
    Häufige Naturschädigung, Artenvielfalt leidet, Bodenverdichtung, etc.
    Auflösung vom Gemeinschaftsleben, jeder kämpft gegen jeden.
    Aushungern der Regionalwirtschaft, Kapital wird aus der Region abgezogen.
    Eigentumsverlust, Höfe gehören am Ende der Bank.
    Gesundheitsverlust aus Überlastung, Hausfriedensverlust, Familiendramen.
    Identitätsverlust, Selbstwertverlust, Kleinere wollen auch Große sein.
    Kultur- und Sozialverlust, stellenweise nur mehr vereinsamte, alte Menschen in Regionen. Verlust von bäuerlichem Können, Fertigkeiten für Ernährung und im Handwerk und Gewerbe.
    Verlust der Ernährungssicherheit als Ergebnis aller genannten Punkte.

Die angeführten Konflikte werden in einer guten Regionalentwicklung aufgelöst, zumindest entschärft:

  • Eine Regionalentwicklung ist zunächst menschlicher und ökologischer als die Intensivierung und sie ist im Kern sehr gemeinwohlorientiert. Sie ist darauf ausgerichtet, dass der Mensch mit der Umwelt im Mittelpunkt steht und nicht das Kapital und der Profit. Es geht um eine ökologische, ressourcensparende Produktion nach Bedarf.
  • Aus dem bisherigen Gegeneinander des Verdrängungswettbewerbes wächst eine Kultur des Miteinanders, das ist das Wesen von Regionalentwicklung. Die verschiedenen Betriebe der Produktion, der Verarbeitung und Vermarktung werden aufeinander abgestimmt und kooperieren miteinander.
  • Es entstehen Wertschöpfungsketten von der Produktion bis zum Teller, die ein stabileres Wirtschaften ermöglichen, das Geld wird nicht mehr abgezogen, sondern bleibt in der Region. Bei beteiligten Bauernhöfen werden in der Zusammenarbeit hohe Schulden und krankmachender Stress vermieden, das entlastet die Menschen und sie werden körperlich und geistig wieder gesünder.
  • Auch für Bauernhöfe ohne Nachfolger können integrative Lösungen gefunden werden.
  • Durch eine bewusste Übernahme von geschichtlich bewährten Merkmalen, Eigenschaften und Fähigkeiten der bäuerlichen Ökonomie in die Regionalentwicklung werden altes Erfahrungswissen und auch Ressourcen wie regional angepasstes Saatgut eingebunden und erhalten. Das führt zu einer Belebung der Kultur.
  • Es soll auf ein wertschätzendes Miteinander geachtet werden, das macht es möglich, dass die in den Menschen angelegten Potenziale laut Hirnforscher Gerald Hüther zur Entfaltung kommen. Menschen finden zu ihrer eigenen Produktivität und Zugehörigkeit in einer Gemeinschaft. Zugehörigkeit und Mitgestalten stiften Identität.
  • Es wird Wert darauf gelegt, spezifische, regionale Artenvielfalt sowie das Wissen dazu zu erhalten. Jede Region soll erkennbar werden an ihrer spezifischen Art und ihrem Geschmack. Dies ist für die lokale Bevölkerung und für den Tourismus wesentlich. Ein überregionaler Ausgleich schafft Verbindung mit anderen Regionen. Gesamt geht es um die Entwicklung einer umfassenden, regionalen Versorgungswirtschaft in regionalen Wertschöpfungsräumen. In übersichtlicher Gebietsgröße können solche Regionalgemeinschaften zu Stationen einer souveränen, sicheren Versorgung mit Ernährungssouveränität werden.

Fazit: Wenn man beide Systeme nebeneinander hinstellt, so, dass man sie gut vergleichen kann, sieht man erst wirklich den Unterschied. Es ist erschreckend, welche Selbstzerstörung in unserem laufenden Intensivierungs- und Überschuss-System eigentlich wirklich steckt. Da wundert man sich dann, dass wir nichts mehr tun um einen Ausweg zu finden, um aus diesem destruktiven System herauszukommen. Wer mit seinem Bauernhof gut überleben will, muss sich also gründlich damit befassen, wo man noch mit Händen und Füßen im Netzwerk dieses Gefängnisses verflochten und gefangen ist. Die beste Übung dazu ist, sich aktiv am Aufbau einer konfliktlösenden Regionalentwicklung in der eigenen Region zu beschäftigen. Wer sich einfach vom Strom weiter treiben lässt und nichts tut, obwohl er weiß, was los ist, macht sich selber verantwortlich für den Untergang im destruktiven System. So kann das Bewusstmachen der Realität zunächst auch schmerzliche Unruhe stiften, aber genau das ist wichtig, da muss man durch.

Franz Rohrmoser

 

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