Die Bauern aus den Abhängigkeiten herausführen

Pressemitteilung der IG-Milch zur Landwirtschaftskammerwahl 2021

[Bad Leonfelden, 17. Jänner 2021] Die IG-Milch mit über 1.000 Mitgliedern ist durch ihren Widerstand gegen die etablierten bäuerlichen Machtstrukturen im Laufe der Jahre zu einem fundierten Knowhow-Träger für Milchwirtschaft und darüber hinaus geworden. Zur Landwirtschaftskammerwahl am 24. Jänner 2021 erhebt der wieder gewählte Obmann Ewald Grünzweil seine Stimme, um Abhängigkeiten ungeschminkt aufzuzeigen, das Kammerwahlsystem zu hinterfragen und Wege aus der Sackgasse derzeitiger Landwirtschaft aufzuzeigen.

„Mit der medial angestoßenen solidarischen Entschuldungsaktion für den Bachler-Bauern auf der Krakauebene in der Steiermark (mehr als 400.000.- EUR Spenden) ist der Fokus auf die massive Verschuldung vieler Bauern in aller Öffentlichkeit gerückt.“ Der IG-Milch-Obmann Ewald Grünzweil holt diesen Einzelfall mit Blick auf die Kammerwahlen am 24. Jänner 2021 als signifikantes Beispiel nochmals vor den Vorhang: „Viele Bauern müssen sich in einem auf Abhängigkeiten gebauten Agrar-System zurechtfinden, sind degradiert zum Billig-Rohstofflieferanten und der Grundannahme „Immer größer, immer mehr, immer technischer“ ausgeliefert. Technische Optimierung und Investitionen in die Vergrößerungen werden als einziger Weg in die Zukunft propagiert. Für diese Investitionen nehmen Bauern immense Kredite auf und werden so in die Abhängigkeit im vielfältigen Raiffeisenkonglomerat geführt. Man weiß: „Die Banken gewinnen immer, egal wie hart man arbeitet.“

Die Funktionäre profitieren

Grünzweil verweist in diesem Zusammenhang auf die Fehler im Ausbildungssystem. „Die Landwirtschaftsschulen stehen in direkter Abhängigkeit zu den Agrarabteilungen der Länder, die von der ÖVP dominiert sind. Die Bildungs- und Beratungsinhalte sind Intensivierung, Leistungssteigerung, Vergrößerung, Technisierung. Das ist in diesen Dimensionen wider die Natur. Die den Investitionen der einzelnen Bauern zugrunde gelegten bäuerlichen Geschäftsmodelle gehen oft von besseren Zahlen aus, als sie dann tatsächlich erzielt werden können. Gewinner sind die Kreditgeber, die auf Grund und Boden der Bauern zugreifen können.“ Grünzweil verweist in diesem Zusammenhang nochmals auf den Bachlerbauern, wo die Raiffeisen-Bank Murau „die Filet-Stücke des Bergbauernhofes schon aufgeteilt hatte“. Das zu Beginn solidarisch gedachte Genossenschaftswesen hat sich über die Jahrzehnte bis heute ins genaue Gegenteil verkehrt und wurde sehr subtil zum „Abhängigkeitsinstrument“ den Bauern gegenüber entwickelt. Die Faire-Milch-Bauern können eine mehr als 16-jährige Geschichte davon erzählen, „sich aus den Fängen und Abhängigkeiten der ÖVP und Raiffeisen dominierten Machtstrukturen zu entziehen“. Grünzweil ist sich sicher, „dass mehr als 60 % der österreichischen Bauern massiv verschuldet und in dieser demütigenden Abhängigkeit leben müssen. Das schreit nach Veränderung. Die jetzt in den Kammerfunktionen Tätigen werden aber diese Veränderung nicht bringen, weil sie als Funktionäre durch Kammerzahlungen stillgehalten werden und dieses Abhängigkeits-System selber nicht mehr von außen oder unten anschauen können. Die gewählten Vertreterinnen und Vertreter, meist Großbauern, profitieren von dieser subtilen Abhängigkeitsstruktur. Die Großen nehmen sich die Kleinen.“

Undemokratisches Wahlsystem

„Als Bauer bist du Zwangsmitglied bei der Landwirtschaftskammer. Das Wahlsystem der Kammerwahl selber ist höchst undemokratisch, wo beispielsweise alle am Hof Lebenden wählen dürfen. Viele haben Funktionen in Parteien, der Kammer, bei Raiffeisen oder anderen genossenschaftlichen Konstrukten. Sie haben deshalb mehrere Stimmrechte.“ Grünzweil weiß von der absurden Situation, „dass einzelne Leute in Österreich elf Stimmen bei der Kammerwahl haben durch ihre Ansammlung von Funktionen auf verschiedenen Ebenen“. Damit stabilisiert sich das ÖVP- und Raiffeisensystem „wie von selber“. Grünzweil fordert daher als Vision, dass die Fraktionen nicht mehr antreten bei der Kammerwahl, „bis ein demokratisches Wahlsystem etabliert ist“. In der kommenden Periode wäre dafür die Zeit. Es ist daher Gebot der Stunde, „in den Widerstand zu gehen, um den Bauern wieder ein souveränes, faireres und nachhaltiges Bauerleben zu ermöglichen“.

Neue Ansätze in die Zukunft

Was wären Auswege aus der Sackgasse der Spezialisierung, der Intensivierung und des Wachstums? „Wir müssen beispielsweise bei der Milchproduktion massiv mit der Leistung herunter, wir müssen ein massives Umdenken zusammenbringen und wir brauchen in Wahrheit eine komplette Umkehr und Abkehr von den bisher gepredigten Werten in der Ausbildung und Beratung. Durch das immer technischere Auspressen der Natur geht jede Diversität verloren, die Bienen finden keine adäquaten Blüten mehr und alle Lebewesen werden in den Leistungszwang gesetzt.“ Gerade weil die „Regionalität und Direktvermarktung boomt“, warnt der Landwirt im Mühlviertel vor den dort oft wieder grundgelegten neuen Ausbeutungsmechanismen. „Es kann nicht sein, dass die Bauersleute jetzt am Hof noch mehr von früh bis spät arbeiten müssen, um ihre Produkte zu veredeln, sie zu verpacken, und im bäuerlichen Hofladen feilbieten, auf den Markt zu fahren oder teilweise über das Internet zu verschicken. Dieser Mechanismus ist bei diesen Preisen ein Stück Selbstausbeutung. Es rechnet sich nur, weil der tatsächliche Arbeitsaufwand nicht berechnet wird. Die Bauernfunktionäre und die politisch Verantwortlichen geben sich allerdings mit dieser Variante Bauer-Sein ihr attraktives Image. Dazu müssen wir bedenken, dass durch die Lage es nicht jedem Bauern möglich ist, in die Selbstvermarktung zu gehen.“ Grünzweil fordert daher von der Politik, die Rahmenbedingungen gesetzlich so zu regulieren, „dass eine radikale Abkehr von diesem Agrarsystem der Ausbeutung der Natur, des Abhängig-haltens der Bauern durch das ÖVP und Raiffeisen dominierte Kammerwesen ermöglicht wird.“ Grünzweil weist in diesem Zusammenhang neben der IG-Milch auf die vielen Initiativen und Vereinigungen in der bäuerlichen Welt hin, „die eine nachhaltige Landwirtschaft fordern und selbst schon praktizieren. Wir IG-Milch-Bauern hören nicht auf zu fordern, dass die österreichische und europäische Landwirtschaft in die Richtung unseres vorgelegten Basis- und Richtungsmanifestes für eine klima- und mitweltgerechte Land- und Milchwirtschaft entwickelt wird. Jetzt sind politische Entscheidungen zu treffen, die dorthin regulieren. Landwirtschaftsprodukte sind keine Industrieprodukte. Das geht vom fairen Preis für die Milch, die Reduktion der Leistung bis hin zum Modell ‚Richtig rechnen‘. Dabei werden alle Faktoren einer landwirtschaftlichen Produktion ökologisch und nachhaltig in Rechnung gestellt.“

Recherchehinweise:

Hier sind die vier Kurzvideos, in den der IG-Milch-Obmann Stellung nimmt zu den Themen „DIE BAUERN UND IHRE SCHULDEN“, „DIE BAUERN UND IHR UMFELD“, „DIE BAUERN IM WIDERSTAND“ und „DIE BAUERN UND LÖSUNGSANSÄTZE FÜR DIE ZUKUNFT“
https://www.ig-milch.at/die-bauern/

Hier das Basis- und Richtungsmanifest als Forderung an die Politik, die gesetzlichen Rahmenbedingungen entsprechend zu setzen.
https://www.ig-milch.at/basis-und-richtungs-manifest/

Franz Rohrmoser, ein Experte der ersten Stunde einer „anderen Landwirtschaft“ und Forscher in der Bauernwelt (Bauernkonflikte) hat in seiner Arbeit „Schwerer geistiger Missbrauch im Agrarsystem“ die Abhängigkeitsmechanismen beschrieben.
https://www.ig-milch.at/schwerer-geistiger-missbrauch/

Auf der Website der IG-Milch („Wir sind eine unabhängige Gemeinschaft von Landwirten, die für faire Preise und faire Produktionsbedingungen der Bäuerinnen und Bauern eintritt.“) schildern verschiedene Beiträge die Entschuldungsaktion des Bachlerbauern.
https://www.ig-milch.at/

Kontakt:

Ewald Grünzweil
+43 664 2023 869

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